Arbeitszeiterfassung durch Arbeitgeber ist Pflicht – das fragwürdige Urteil des Arbeitsgerichts Emden (2 Ca 94/19)

Der EuGH hat kürzlich entschieden, dass jeder Mitgliedsstaat verpflichtet ist, Regelungen zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber einzuführen. Damit soll die tatsächlichen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers erfasst werden.

Arbeitszeiterfassung
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Die Vorgabe wird sogar dahingehend konkretisiert, dass durch den Arbeitgeber ein System vorgehalten werden soll, „mit dem die Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden objektiv und verlässlich festgestellt werden kann“.

Jedoch kann der EuGH grundsätzlich nur Auslegungsfragen für Rechtsnormen entscheiden, die einen europarechtlichen Bezug haben. Der EuGH hat keine europäische Legislativkraft.

Was war der Hintergrund dieser EuGH-Entscheidung?

Der EuGH hatte die Frage zu entscheiden, ob national die Anforderungen zur Umsetzung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie erfüllt waren. Konkret ging es um die Frage, ob eine nationale Regelung (vorliegend ging es um eine Regelung in Spanien), die lediglich die Pflicht des Arbeitsgebers vorsah, Überstunden zu erfassen, mit den Anforderungen der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar ist.

Dies hat der EuGH bekanntlich verneint und ausgeführt, dass den in Art. 3, 5 und 6 Buchst. B sowie in Art. 31 II GRCh verankerten Arbeitnehmerrechten (insbesondere Regelungen zur Mindestruhezeit sowie zur zulässigen Höchstarbeitszeit) in vollem Umfang zur Geltung verholfen werden muss. Zwar hat der EuGH erkannt, dass auch die Arbeitszeitrichtlinie die vollumfängliche Arbeitszeiterfassung nicht ausdrücklich vorsehe, jedoch sei es für den von der Richtlinie verfolgten Zweck (nämlich der Schutz der Sicherheit und Gesundheit sowie der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer) erforderlich, dass die Mitgliedsstaaten „die Arbeitgeber daher verpflichten (müssen), ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“.

Soweit so gut. Da die Rechtslage in Spanien zu diesem Punkt der Rechtslage in Deutschland (§ 16 Abs. 2 ArbZG) vergleichbar ist, hat das Urteil ähnliche Brisanz wie in Spanien. Insofern stellt sich die Frage, ob die Entscheidung eine unmittelbare Folge für die deutschen Arbeitgeber hat.

Was hat das Arbeitsgericht Emden geurteilt?

Der dem Urteil zugrundeliegender Fall ist leicht erklärt; es ging um einen Vergütungsanspruch eines Arbeitnehmers, der auf Basis tatsächlich abgeleisteter Stunden zu berechnen war. Streitentscheidend war (einzig und allein) die Frage der Beweislastverteilung im Hinblick auf den Nachweis der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden.

Das Arbeitsgericht Emden hat (im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung) wie folgt entschieden:

Im Vergütungsprozess besteht eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muss demnach zunächst vortragen und darlegen, „an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat“. Danach obliegt es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zum Vortrag des Arbeitnehmers zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – ggf. nicht – nachgekommen ist. Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, so gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers insoweit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Zunächst also hat der Arbeitnehmer gerichtlich seine Arbeitszeiten-Aufzeichnungen vorgelegt. Der Arbeitgeber hat daraufhin ausdrucke aus dem Bautagebuch zur Entkräftung vorgelegt.

Dies sah das Arbeitsgericht Emden als nicht ausreichend an. Als Begründung führt das Arbeitsgericht Emden (fast anklagend) an, der Arbeitgeber habe es versäumt, ein entsprechendes System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Daraufhin werden lange Ausführungen dazu gemacht, warum diese Pflicht für den Arbeitgeber unmittelbar gelten solle und nicht durch einen (sonst üblichen) Rechtsumsetzungsakt umzusetzen ist. Hierbei verkennt das Arbeitsgericht jedoch, dass es vorliegend um einen Beweis einer Tatsache und nicht um einen Verstoß zur Einführung einer Arbeitszeiterfassung ging. Der Arbeitgeber hätte ebenso gut via anderer Beweismittel (z.B. Zeugen) den Nachweis erbringen können, dass der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat.

Das Gericht nimmt zudem (durch die unmittelbare Anwendung der Vorgaben des EuGH) eine rechtswidrige Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (§ 16 Abs. 2 ArbZG) vor.

Müssen die Arbeitgeber jetzt sofort handeln?

Die Rechtslage ist nicht eindeutig – so viel sei gesagt. Dennoch muss bei den Arbeitgebern keine Panik ausbrechen.

Das Gericht entschied zunächst lediglich, dass die Beweislast im Rahmen des Nachweises der geleisteten Arbeitsstunden zugunsten des Arbeitnehmers verschoben ist.

Da die meisten Arbeitsverträge jedoch ohnehin eine sog. „Ausschlussklausel“ beinhalten, nach der jeder Anspruch innerhalb von 3 Monaten geltend zu machen ist, ist das Risiko nach meiner Einschätzung überschaubar. Dies auch im Hinblick darauf, dass sich die Rechtslage in Bezug auf die geleisteten Überstunden überhaupt nicht geändert hat und sich die „neue Situation“ lediglich auf die Regelarbeitszeit bezieht.

Dass eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gesetzlich kommen wird, ist sehr wahrscheinlich. Schnelle und unüberlegte Entscheidungen in Bezug auf die Arbeitszeiterfassung sollten aber nicht getroffen werden.

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Bildquellennachweis: Lukas Blazek auf Unsplash

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